Die Schweiz tut sich lange schwer mit dieser Gleichstellung. Rollstuhlfahrende werden noch bis 1990 im Güterwagen transportiert.
Die Anfänge der schweizerischen Behindertengleichstellung
1959 – 1963
Während der parlamentarischen Debatte zur Einführung einer Invalidenversicherung wollte Nationalrat Marino Bodenmann eine Möglichkeit schaffen, dass behinderte Menschen eine Wohnung erhalten, die ihrer besonderen Lage und Behinderung entsprächen. Bundesrat Philipp Etter lehnte dieses Begehren kategorisch ab.
Die Schweiz. Arbeitsgemeinschaft zur Eingliederung Behinderter in die Volkswirtschaft (SAEB) befasst sich 1960 mit den Wohnproblemen von geh- und körperbehinderten Menschen. Auch Wilhelm Schweingruber, Leiter der Eingliederungsstätte «Milchsuppe Basel», beschäftigt sich mit dieser Thematik. Er gibt ein Merkblatt für den Bau von Invalidenwohnungen heraus. Im Auftrag der SAEB erweitert eine Zürcher Studiengruppe die Basler Vorschläge. Im September 1961 veröffentlicht die SAEB die neue Richtlinie.
Die Richtlinie wird zu einer eigentlichen Norm ausgeweitet. Im September 1963 publiziert die CRB die neue Norm unter der Bezeichnung SNV 63 «Wohnungen für Gehbehinderte». Im gleichen Jahr gibt der Schweizerische Invalidenverband (SIV) einen speziellen Leitfaden für das behindertengerechte Bauen heraus.
1966 – 1969
Ein neues Bundesgesetz zur Förderung des Wohnungsbaus wird erlassen. In der Verordnung dieses Gesetzes wird die Anwendung der Norm SNV 63 «Wohnungen für Gehbehinderte» ausdrücklich vorgeschrieben.
Gründung des Vereins «Handicapés Architecture Urbanisme H.A.U.» in Genf. Ziel der neuen Institution ist die Förderung des behindertengerechten Bauens in der Romandie.
Ein Sonderabdruck der Neuen Zürcher Zeitung NZZ erscheint im Jahr 1969 (Autor: Dr. Fritz Nüscheler). Erstmals wird einer breiten Leserschaft die Probleme von Menschen mit Behinderungen im Bauwesen geschildert. Im gleichen Jahr gründet Ursula Eggli mit einer Freundin den «Club Behinderter und ihre Freunde», kurz «CeBeeF» genannt.
1970 – 1972
Die Stimmberechtigten des Kantons Bern stimmen 1970 dem neuen Baugesetz zu. Zum ersten Mal enthält ein kantonales Baugesetz umfassende Bestimmungen zugunsten behinderter Menschen für öffentlich zugängliche Bauten. Es wird ausserdem eine Einsprachemöglichkeit für Behindertenorganisationen eingeführt. Überdies hat sich der Regierungsrat bereit erklärt, in einer Verordnung die Bestimmung aufzunehmen, dass bei Wohnungen für Behinderte die Norm SNV 63 anzuwenden ist.
Der SIV stellt die neuste Version der Planungshilfe «Richtiges Planen hilft architektonische Hindernisse vermeiden» und den in enger Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Hotelierverein herausgegebenen «Hotelführer für Behinderte» vor. Damit hofft man, Menschen mit Behinderungen aus der «Ghetto-Situation» zu befreien.
Die bundesrechtlichen Richtlinien über bauliche Vorkehrungen für Behinderte werden in Kraft gesetzt. Sie gelten für Bauten, die der Bund erstellt oder subventioniert.
«Rehabilitation International» organisiert 1971 in Rom die erste internationale Konferenz über gesetzgeberische Massnahmen zugunsten Behinderter. Um allen Menschen mit Behinderungen ihre natürlichen Rechte zu garantieren, regt sie auch eine weltweite Kampagne an und proklamiert die Periode von 1970 bis 1980 zum Jahrzehnt der Behinderten.
Die SBB-Verantwortlichen setzen eine Kommission für Behinderteninteressen ein, in der neben den Bahnen auch Vertreter der Wagenbaufirmen und der privaten Invalidenhilfe mitwirken. Im August 1971 gibt diese Kommission erstmals ein verbindliches Merkblatt für den Konstrukteur von Personenwagen zur Erleichterung des Reisens von Behinderten heraus.
Der Lehrstuhl für Verkehrsingenieurwesen der ETH Zürich veröffentlicht einen umfassenden Arbeitsbericht über die baulichen Massnahmen im Strassenbau zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Darin wird Stellung bezogen zu den Vorschlägen der schweizerischen Kommission für Rehabilitation hinsichtlich der künftigen Gestaltung des öffentlichen und privaten Strassenverkehrs.
Im Genfer Baugesetz wird ein neuer Artikel zugunsten behinderter Menschen aufgenommen. Er gilt für Gebäude mit Publikumsverkehr und für subventionierte Wohnbauten.